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http://www.augsburger-allgemeine.de/mindelheim/Keine-Angst-vor-dem-Konzertsaal-id8905916.html
12. November 2010 19:30 Uhr
Markt Rettenbach Schweren Schrittes schlurft Jonas über den Teppichboden im Musiksaal der Markt Rettenbacher Grundschule. Seinen Bauch hat er eingezogen, der Rücken ist gebeugt. Im Takt seiner schwergängigen Bewegungen streicht Cellist Wolfram Dierig über die Saiten seines Instruments. Jonas ahmt die Romanfigur Don Quichotte nach - einen dünnen, gebrechlichen Mann, der mit seinem alten Gaul Rosinante und seinem Wegbegleiter, dem dicken Sancho Panza, durch die spanischen Lande zieht und sich mutig allen Gefahren stellt. Im Rahmen des Projekts "Chorklassen" (siehe Infokasten) hat Dierig, Mitglied des Münchner Rundfunkorchesters (MRO), mehr als 60 Markt Rettenbacher Grundschüler auf einen Kinderkonzert-besuch in Kempten vorbereitet - auf "Don Quichotte de la Mancha".
Mit offenen Mündern sitzen die Kinder im Halbkreis um den Mann mit dem weißen Hemd und dem schwarzen Anzug herum. Dierigs Finger wandern den Cellohals entlang; gefühlvoll lässt er seinen Bogen über die Saiten wandern. Begeistert schlagen die Kinder ihre Hände zusammen, als die Töne verstummen und sich der Cellist verneigt. "Der Spanier Quichotte ist älter als Eure Oma", stellt er kurz darauf fest und bringt die Kinder damit zum Lachen.
Jedes Instrument steht für eine Person
Jedes Instrument in dem Kinderkonzert steht für eine Person, sagt Dierig. Sein Ziel ist es, die Fantasie der kleinen Zuhörer anzuregen, sodass sich während der Aufführung eine eigene Geschichte im Kopf entwickelt. "Wenn sie die Augen schließen, sollen sie die Figuren sehen können", so der Musiker. Die Angst vorm Konzertsaal solle frühzeitig abgebaut werden, denn die Kinder von heute seien die Konzertbesucher von morgen. Wichtig ist für ihn auch, dass die jungen Besucher jemanden wiedererkennen - in dem Fall ihn als Cellisten und "hallo Wolfram" rufen können. "Das ist dann ein bisschen wie bei Deutschland sucht den Superstar."
Das Kinderkonzert-Konzept beruht auf drei Säulen, wie die Markt Rettenbacher Lehrerin Eva Weinacht erläutert: Vorbereitung im Unterricht, Besuch eines Musikers vom MRO in der Schule und Veranstaltung.
Persönlicher Don Quichotte vor Augen
Bei Schulleiter Helmut Berchtold ist das Pilotprojekt "Chorklasse" auf "mehr als offene Ohren gestoßen", sagt er. Solche Veranstaltungen wie das Kinderkonzert seien dadurch erst möglich geworden. Er möchte die "Musikalität im ländlichen Raum auf dem jetzigen Stand halten", vor allem vor dem Hintergrund einer schrumpfenden Gesellschaft. Für Chöre und Musikkapellen könne man auf diese Weise eine "umfassende Basisarbeit liefern". Berchtolds Schüler sollen die ganze Bandbreite der Musik kennenlernen und "damit ins Leben gehen".
Ob den Markt Rettenbacher Mädchen und Buben am Konzerttag tatsächlich ihr ganz persönlicher Don Quichotte vor dem geistigen Auge erscheint, bleibt abzuwarten. Vielleicht sieht der ein oder andere Schulkamerad Jonas vor sich, wie er mit gebeugtem Rücken und eingezogenem Bauch schweren Schrittes über den Boden schlurft.